Günter Wältermann ist Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg. Im Interview spricht er über die elektronische Patientenakte (ePA), die Digitalisierung im Gesundheitswesen und die Herausforderungen, denen die Gesundheitskasse sich gegenübersieht – aber vor allem auch über die Chancen, die die ePA mit sich bringt.
Was ist die elektronische Patientenakte?
Redaktion
Die elektronische Patientenakte ist eine technische Anwendung, in der zukünftig alle medizinischen Behandlungsdaten der Versicherten gespeichert werden. Der Versicherte hat dann erstmalig die Möglichkeit, in all seine Behandlungsdaten Einblick zu nehmen und sie weiteren Behandlern zur Verfügung zu stellen. Diese liegen heute ja in verschiedenen Praxen vor und sind nie zusammengeführt worden. Ich sehe das als einen Riesenfortschritt für die medizinische Versorgung der Versicherten, aber auch für die Behandler an.
Günter Wältermann
Welche genauen Vorteile sehen Sie in der Digitalisierung und der elektronischen Patientenakte für Ihre Versicherten?
Redaktion
Insbesondere für diejenigen, die schwer erkrankt sind oder die chronische Erkrankungen haben, ist diese elektronische Patientenakte ein echter Mehrwert. Dadurch, dass die Patientendaten an einer zentralen Stelle allen Behandlern zur Verfügung stehen, wird sich die Behandlungsqualität sicherlich steigern. Man wird feststellen, dass Medikamente, die eventuell Wechselwirkungen entfalten, schon beim Verordnen überprüft werden können. Damit wird sich die medizinische Behandlung wesentlich verbessern.
Günter Wältermann
Wie hilft das den Leistungserbringern?
Redaktion
Durch die neue Transparenz weiß auf einmal jeder Behandler, welche Vorerkrankungen bestehen, welche weiteren Behandlungen umgesetzt werden und welche aktuelle Medikamentengaben von weiteren Behandlern ausgestellt worden sind. Man kann dann das Behandlungsregime auf den tatsächlichen Krankheits- und Behandlungszustand anpassen. Da ist ein Riesenfortschritt dabei, denn es gibt aktuell große Versorgungsbrüche zwischen ambulanter und stationärer Behandlung.
Günter Wältermann
Wie möchte die AOK Rheinland/Hamburg die Akzeptanz und Nutzung der ePA bei ihren Versicherten fördern?
Redaktion
Was ich gerne möchte, ist, dass der Versicherte eine informierte Entscheidung trifft. Das Wichtige ist, dass er ein Wahlrecht hat – er kann sich für oder gegen die Patientenakte entscheiden. Mein Wunsch ist aber, den Versicherten über die Vorteile zu informieren, sodass er sie nicht abwählt.
Einige haben vielleicht Sorgen um den Datenschutz und möchten der ePA deshalb widersprechen. Wir hoffen aber, dass wir sie davon überzeugen können, dass das Medium Patientenakte sicher ist. Wir haben jahrelang daran gearbeitet, sie so sicher zu machen wie nur möglich. Und wir als Gesundheitskasse AOK Rheinland/Hamburg, werden dafür sorgen, dass unsere Versicherten diese informierte Entscheidung gut treffen können.
Günter Wältermann
Was unternehmen Sie als AOK Rheinland/Hamburg, um die Einführung der ePA zu unterstützen?
Redaktion
Wir möchten die Versicherten gut informieren, denn man kann mit der Patientenakte ja Einiges machen: eigene Daten einstellen und einsehen, Berechtigungen vergeben. Das muss man dem Versicherten gut erklären, damit er damit umgehen kann. Ganz wichtig ist natürlich, dass auch die Leistungserbringer davon überzeugt sind, dass die Patientenakte einen Mehrwert darstellt. Man muss sich das so vorstellen: Wenn Sie ein Unternehmen umorganisieren, haben Sie immer einen Changeprozess. Das heißt, Sie verändern Ihre Abläufe, Sie müssen die Menschen mitnehmen, damit sie auch diese neuen Veränderungen positiv begleiten.
Und die Einführung der elektronischen Patientenakte ist der größte Changeprozess seit Jahrzehnten in Deutschland, weil sich alle Arztpraxen umstellen müssen. Das wird seine Zeit dauern und es wird am Anfang nicht alles reibungslos laufen. Aber das ist vollkommen normal. Auch bei der Einführung des eRezeptes hat am Anfang nicht alles funktioniert; die Abläufe haben nicht gestimmt. Mittlerweile läuft alles reibungslos und das würde ich auch bei der elektronischen Patientenakte so sehen: Es wird am Anfang nicht alles so laufen, wie wir uns das alle wünschen, aber ich bin sicher, nach einem halben Jahr schauen wir auf eine Erfolgsgeschichte.
Günter Wältermann
Wie wird die Gesundheitskasse sicherstellen, dass auch ältere oder weniger technikaffine Menschen von den digitalen Angeboten profitieren?
Redaktion
Das ist natürlich eine sehr, sehr wichtige Frage, weil gerade ältere Patienten Nutznießer der elektronischen Patientenakte sind. Im Alter ist man häufiger krank, man ist schwerer krank, man muss häufiger zum Arzt und sich behandeln lassen. Was wir tun müssen? Wir müssen unsere Anwendungen so gestalten, dass sie intuitiv sind, einfach zu steuern, nicht super komplex. Und wenn jemand Probleme hat, werden wir sicherlich darüber nachdenken müssen, Schulungen für unsere Versicherten anzubieten.
Günter Wältermann
Welche Rolle nimmt die AOK Rheinland/Hamburg bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens ein?
Redaktion
Gerne natürlich eine führende, da wo es sinnhafte Entwicklungen gibt in der Digitalisierung. Es gibt auch Entwicklungen, die ich nicht so gut finde. Aber es gibt viel Potenzial, wo man über die Digitalisierung heute sehr bürokratische Prozesse vereinfachen könnte, auch im Sinne des Versicherten. Vor allem, wenn man den Kunden in den Fokus nimmt und sagt: Alle Entwicklungen müssen natürlich einen Mehrwehrt auch für den Kunden haben oder für die Arztpraxis. Hier gibt es sicherlich noch eine ganze Menge an Möglichkeiten, wie wir die Digitalisierung nach vorne treiben können.
Digitalisierung ist aber auch ein internes Thema für uns als AOK Rheinland in der Kommunikation mit dem Kunden, in der Leistungsabwicklung. Auch da sehe ich viele Möglichkeiten, die Wege für die Versicherten zu vereinfachen. Ganz wichtig für mich ist aber auch: Wir werden weiterhin immer vor Ort sein. Wir werden immer auch auf dem analogen Weg über unsere Geschäftsstellen für die Versicherten erreichbar sein. Das heißt, wir wollen das Beste aus beiden Welten.
Günter Wältermann
Wie treibt die AOK Rheinland/Hamburg die Digitalisierung voran?
Redaktion
Da sind wir auf der einen Seite mit den gesetzlichen Vorhaben konfrontiert, wie bei der ePA. Auf der anderen Seite gibt es auch freiwillige Anwendungen, die wir sukzessive einbauen werden. Da geht es um Impfkalender, Terminvermittlung, Informationen, wenn Sie ins Ausland fahren und Schutzimpfungen brauchen.
Man spricht von Plattformunternehmen, also vernetzten Umgebungen, damit der Versicherte, wenn er es möchte, digital Kontakte verknüpft bekommt, Leistungen bekommen kann. Ich glaube, das wird unser Gesundheitssystem schon stark positiv verändern. Ich trete nur immer noch dafür ein: Es wird Menschen geben, die das vielleicht nicht wollen und für die müssen wir genauso da sein; vor Ort, über Geschäftsstellen mit allen anderen Angeboten auch. Wir haben einen Auftrag, uns um die Gesundheitsversorgung zu kümmern. Und deshalb, glaube ich, müssen wir beide Seiten weiter aufrechterhalten.
Günter Wältermann
Wie möchte sich die AOK Rheinland/Hamburg in der Digitalisierung langfristig ausrichten?
Redaktion
Viele reden jetzt über KI und so weiter. Ich glaube, da sollten wir mal die Kirche im Dorf lassen. Meistens werden diese Entwicklungen auf der kurzen Sicht überschätzt, auf der langen Sicht unterschätzt. Es gibt da auch viele Bedenken, die ich auch durchaus teile, was mit KI so alles passieren kann. Was ich möchte, ist, dass wir den Mehrwert und die Möglichkeiten, die die Technik uns bietet, für die Versicherten erschließen und dann auch in unsere Anwendungen hineinbringen. Die elektronische Patientenakte ist ja nur einer unserer Kommunikationskanäle. Wir haben auch noch unsere Online-Geschäftsstelle und wir haben mittlerweile viele unserer Versicherten davon überzeugt, dass die Interaktion mit der AOK darüber sehr gut funktioniert. Und wir freuen uns natürlich, wenn wir jetzt über die elektronische Patientenakte auch den Kanal noch mal stärker nach vorne bringen können.
Günter Wältermann
Welchen Herausforderungen begegnen Sie hierbei?
Redaktion
Natürlich müssen wir schauen, dass die Menschen – auch wieder Change – diese neuen Angebote auch annehmen. Ich glaube, dass sie heute in ihrem privaten Umfeld sehr häufig erleben, dass vieles digital schon funktioniert. Und ich bin mir sicher, dass wir diesen Weg auch mitgehen können und dass die Menschen das auch möchten. Sie möchten es einfacher haben.
Denken Sie nur mal über Onlinebanking nach; da hatte man früher ja echte Sorgen. Heute ist es eigentlich Standard, aber man muss Veränderungen natürlich mit Respekt und Vorsicht begegnen. Aber die Menschen erwarten natürlich von einem modernen Dienstleistungsunternehmen, dass es diese Möglichkeiten auch anbietet. Und das wollen wir auch erfüllen.
Günter Wältermann
Können Sie die Datensicherheit und den Datenschutz gewährleisten?
Redaktion
Ich denke mal, wir Krankenkassen haben seit Jahrzehnten bewiesen, dass wir schon immer sehr bewusst mit hochsensiblen Daten umgegangen sind und der Datenschutz immer eine sehr hohe Rolle gespielt hat. Und das werden wir natürlich auch in Zukunft tun. Die Menschen können darauf vertrauen, dass wir dem Datenschutz eine sehr hohe Rolle beimessen und werden. Das macht der Gesetzgeber ja auch. Und die Daten sind bei uns in sicheren Händen.